Klaus Hartmann

Ungefährliches Uran und andere Lügen

Anfang April 1999 hätte man wissen können: "In Jugoslawien sterben täglich Menschen im Zuge der Bombardements. Viele weitere werden an der uranhaltigen Munition sterben, welche die NATO zum Einsatz bringt. Bekannt sind die Wirkungen dieser Waffen aus dem Golfkrieg 2, wo bereits in den ersten acht Monaten 50.000 Kinder an der radioaktiven Verseuchung starben, und schreckliche Mißbildungen bei Neugeborenen festgestellt wurden. 39.000 US-Soldaten sind am sogenannten Golfkriegssyndrom erkrankt, und 4.000 von ihnen gestorben. Bereits bei ihren Angriffen auf die bosnischen Serben setzten die USA abgereicherte Uran-Munition ein, jetzt, am 29. März 1999 starb ein montenegrinischer Junge nach Beschuß durch radioaktive Munition nahe Rozaje, zwei weitere Jungen wurden schwer verletzt. Wer soll nach dem Krieg das radioaktiv verseuchte Wasser in Kosovo trinken?" (Flugblatt: "Wie frei können Sie über den Krieg denken?")

Aber wer wollte das damals wissen? Joseph Fischer, als Steinewerfer kritisiert, als Bombenwerfer hochverehrt, jedenfalls nicht (obwohl er heute bekennt, "kein Freund dieser Munition"! zu sein). Der Internationalen Ärztevereinigung für die Verhütung des Atomkriegs schrieb er am 14. April 1999: "Auf der Grundlage bisher bekannter Untersuchungen nach dem Ende des Golfkrieges...ist jedoch davon auszugehen, dass Gefährdungen der von Ihnen beschriebenen Art für Mensch und Umwelt nicht auftreten." (zit. n. Freidenker 2-1999)

Als sich im Dezember 2000 auch die offiziellen Medien über die Gefährlichkeit der atomaren Munition beunruhigten, sah es zunächst nach kurzer Erregung zwecks umso gründlicheren Vergessens aus. Doch beharrliche Proteste aus Spanien, Portugal, Italien und Griechenland, wo schon die eigenen Opfer öffentlich gezählt wurden, machten Abwiegeln nach altem Muster unmöglich.

Die Times vom 15.01.2001 veröffentlichte einen Bericht der Atomic Energy Agency: "Der Umgang mit Munition aus Schwermetallen beinhaltet etliche potentielle Gefahrenelemente. Das gilt ebenso für die Möglichkeit einer radioaktiven oder toxischen Verseuchung, die als Resultat eines Beschusses eintreten kann. Bei unsachgemäßem Umgang kann das zur langfristigen Gesundheitsschädigung führen und sowohl für das Militär als auch für die Zivilbevölkerung ein Risiko darstellen".

Der Verseuchung der Jugoslawen galt die deutsche Sorge weniger. Bundeskanzler Schröder, dessen Satz am ersten Bombenabend "Wir führen keinen Krieg" unvergesslich bleibt, wußte auch zur DU-Debatte Passendes zu sagen: "Ich habe eine gesunde! Abneigung gegen die Verwendung einer Munition, die zur Gefährdung der eigenen Soldaten führen kann." Tja, gesund sollen künftige Kriege sein, für uns, und sterben sollen ausschließlich die anderen. Ein zynisches Beispiel, wie die Aufdeckung eines Kriegsverbrechens für eine künftig effektivere Kriegsführung herhalten soll.

Gilt die Aufregung mehr der Munition als dem Krieg selbst? Zwangsläufig stellt sich die Frage nach der Funktion der späten Enthüllungen. Als noch Zeit war, den Kriegstreibern in den Arm zu fallen, fand unsere Entlarvung der Lügen wenig Gehör. Bodo Hombach erkannte die Chance, die wir be- und ergreifen sollten - er nannte "die psychologische Wirkung der Debatte verheerend", da sie "im Nachhinein die Zustimmung zum NATO-Einsatz (verringere)" (taz, 15.01.2001). Ginge es nach der Herrschaft, wäre die als "Kosovo-Krieg" verniedlicht-umgefälschte NATO-Aggression gegen Jugoslawien schon vergessen, und mit ihr die schamlosen "humanitären" Lügen; die werden jetzt aber auch von BZ- und Monitor-Autoren aufgedeckt:

Keine gegrillten Föten auf dem Serben-Grill und kein KZ in Pristina, über die sich Kriegshetzer Scharping ergeiferte, das "Massaker" von Racak gab es so wenig wie das von Rugovo, kein Massengrab in Izbica und nicht in Trepca, keinen Hufeisenplan und in Rambouillet keinen Friedensplan, es gab keinen Völkermord und vor der NATO-Aggression auch keine humanitäre Katastrophe und ethnische Säuberung. Plötzlich liegt die ganze Wahrheit offen auf dem Tisch, doch dass sie nicht merkwürdig folgenlos bleibt, brauchen die linken und Friedenskräfte auch Mut zur Klarheit im eigenen Kopf.

Allen späten Enthüllungen zum Trotz ertönt ungerührt, gebetsmühlenhaft die Forderung nach Auslieferung von Milosevic an das sogenannte "Kriegsverbrechertribunal in Den Haag", dem völkerrechtswidrig installierten Kriegspropagandainstrument der NATO. Der Sinn ist klar - ein Rest von Legitimität des NATO-Krieges soll erhalten bleiben; vor allem aber: Widerstand gegen die "Neue Weltordnung" ist verboten und muss zwecks Abschreckung bestraft werden - oder wie US-Senator Biden am 29.07.2000 formulierte: "...wenn wir Milosevic zu Klump schlagen" habe das "heilsame Auswirkungen auf die Extreme in (anderen) Ländern".

Aus den entlarvten Kriegszwecklügen folgt zwingend die Forderung: Rücknahme der Anklagen gegen die ehemalige jugoslawische Führung, Schluss mit der Kriminalisierung des antiimperialistischen Widerstands! Auch wenn es wieder gegen den "Mainstream" ist: Solidarität mit Slobodan Milosevic, mit den serbischen Sozialisten und Kommunisten, mit allen patriotischen und antiimperialistischen Kräften Jugoslawiens!

Klaus Hartmann, Offenbach
Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes


Aus: Marxistische Blätter, 2-01


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